Ich habe einige außergewöhnliche Behandlungsansätze, die sich nicht in Büchern wiederfinden. Diese sind meist konsequent weitergedachte schulmedizinische Betrachtungsweisen. Um mich und meine Arbeit besser kennenzulernen, stelle ich diese hier dar. Ich diskutiere diese gerne mit Ihnen und stelle etwas pointiert dar, um zum Austausch anzuregen. Dieser Blog ist weder Ausbildung, noch zum Nachahmen gedacht und ersetzt keine ärztliche Beratung oder Therapie. Aber vielleicht lachen Sie. Und dann vielleicht doch.
„Früher habe ich jeden Tag Sport gemacht, gehörte irgendwie auch dazu. Jetzt komme ich gar nicht mehr dazu. Können Sie sich vorstellen, abends um 7 noch irgendetwas zu tun? Nach einem solchen Tag? Im Sommer mag das vielleicht noch gehen, aber im Winter? Stockduster da draussen.“
Zufällig ist es grad Sommer, wäre also im Moment kein Grund. Aber es schien der Patientin eher um das grundsätzliche zu gehen.
„Ich schaffe es jeden Abend grade noch so, meine Schuhe auszuziehen, mir Abendbrot zu machen und mich auf die Couch zu setzen. Ich verabrede mich sehr gerne, mag eigentlich die Gesellschaft, aber wenn es dann soweit ist, ist es mir ein Graus, noch mal raus zu gehen. Noch mal fertig machen, das große Programm, habe ich gar keine Kraft mehr für. Ich kann noch nicht mal anstrengende Sendungen sehen, wo ich aufpassen muss. Am liebsten eine kurze Serie oder eine Talkshow, wo es überhaupt nichts ausmacht, wenn ich Teile nicht mitbekomme.“
Es gibt fast keinen Patienten, bei dem ich diese Einstellung nicht in der einen oder anderen Weise zu hören bekomme. Das Problem ist nur, es hilft nicht. Im Gegenteil, es macht es nur schlechter. Jeder kennt irgendeinen Bekannten mit Burnout, der auf die klassische Art und Weise behandelt wird. Vom Hausarzt gibt es ein Antidepressivum und eine Krankmeldung. Nach einigen Wochen fragt er nach, ob es schon besser geht. Dann wird das Medikament erhöht oder gewechselt und wieder krank geschrieben. Nach einem halben Jahr geht es meist schlechter als vorher oder hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Oft geht es dann in Kur und auch damit geht es noch mal schlechter als vorher. Nur warum?
Burnout ist das HIV des neuen Jahrtausends. HIV greift das Immunsystem an und tötet damit genau die Zellen, die für die Abwehr des Virus verantwortlich sind. Damit kann sich der Organismus nicht mehr wehren und ist hilflos. Burnout macht genau das, es greift unsere Abwehr an und lähmt diese. Damit kann es sich frei verbreiten nicht mehr bekämpft werden. Um das zu verstehen müssen wir einige Jahre in die Vergangenheit gehen. Bis zur Industrialisierung, vielleicht sogar in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein war ein rein denkender Beruf eher die Ausnahme. Im Mittelalter haben sicherlich die wenigsten ihr Geld mit Denken verdient und in den 1,3 Millionen Jahren davor war es eher schlechter. Der Körper hat sich darauf eingestellt, dass Überlastung und Erschöpfung eine rein körperliche Angelegenheit gewesen ist. Daher hat er eine bestimmte Abwehrform dagegen perfektioniert. Wenn wir vor 100 Jahren vom Feld kamen und uns der Rücken, die Hände oder die Füße weh getan haben, haben wir uns aufs Sofa gelegt und alle Termine abgesagt. Wir haben uns ausgeruht und waren meist am nächsten Tag wieder einigermaßen fit. Niemand wäre auf die Idee gekommen, zur Entspannung und Erholung den Garten umzugraben. Wenn heute jemand den ganzen Tag in Meetings war, Leuten zugehört hat, die im Kreis saßen und diskutierten, dann hält er es aber für eine spitzen Idee, abends eine Talkshow im Fernsehen zu sehen. Er hört Leuten zu, die im Kreis sitzen und diskutieren. An dieser Stelle höre ich immer den Einwand, dass dies ja interessant sei, im Gegensatz zu den täglichen Meetings. Stimmt. Aber interessant oder spannend oder auch lustig sind Emotionen. Burnout ist aber keine emotionale Krankheit, sondern eine rationale. Und die Arbeit des Verstandes, der die Worte aufnehmen und verarbeiten muss ist die gleiche, egal ob sich die Worte nach der Dechiffrierung als lustig herausstellen. Genauso ist es, wenn wir abends private Emails lesen, den ganzen Tag aber schon berufliche Emails gelesen haben. Die Benutzung des Handys ist unabhängig vom Inhalt eine Informationsaufnahme und damit der beruflichen Tätigkeit meist sehr ähnlich. Das Handy stellt damit zwei Sachen sicher: Zum einen einen immensen Anstieg der burnout bedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten und zum anderen meine Rente. Mein Problem ist leider, dass meine Zeit begrenzt ist. Ich kann gar nicht so viel arbeiten, wie nötig wäre. Falls da draussen also jemand ist, der in meiner Art der Medizin ausgebildet werden will und mir helfen möchte, immer melden.
Wenn wir also abends psychisch erschöpft sind denkt der Körper, dass es sich um ein reines körperliches Problem handelt und trifft entsprechende Maßnahmen. Diese belasten aber genau den Teil des Kopfes, der eh schon belastet ist. Weiter verhindern sie die Maßnahmen, die nötig wären, um Stresshormone abzubauen und den Körper zu aktivieren, wie z. B. Sport. Dadurch gibt es eine Burnout Spirale. Jeder der mit einem Fuß in dieser Spirale ist, wird sich nur noch abwärts bewegen. Und da berufliche Veränderungen Kraft und Mut kosten, wird auch hier nichts passieren. Wer jetzt noch seine Hoffnung auf die Krankmeldung und die Ruhe legt hat noch nie erlebt, wie belastend es ist, den ganzen Tag Zeit zum Grübeln zu haben, wie es wohl im Leben weitergehen kann. Da ist es fast besser, an der Arbeit abgelenkt zu sein.
Aus diesem Grund freue ich mich über jeden, der möglichst früh kommt. Ist aber selten. Ich versuche auch mit den Unternehmen in Hannover über Prävention zu reden. So richtig sehen die das aber nicht ein. Bis auf die Enercity, die hier lobend voran gehen. Irgendwann schreibe ich mal einen Blogartikel über mein Gespräch mit den führenden Personalern bei VW. Ich muss nur noch ein bisschen Geld für die Klage sparen, die ich dann bekomme. Aber einen Spoiler kann ich mir nicht verkneifen. „Wir haben dieses Problem mit Burnout bei uns gelöst. In den Arbeitsverträgen steht, dass kein Mitarbeiter Burnout haben darf und wir benutzen dieses Wort hier bei uns auch nicht. Daher kommt das bei uns im Werk überhaupt nicht vor.“ Kennen sie das Gefühl, herzhaft über einen Witz zu lachen und erst sehr spät mitzubekommen, dass man als einziger lacht, während alle anderen ernst um einen herumsitzen? Ich kenne es mittlerweile. Ach, besser einen Auftraggeber zu verlieren, als eine gute Pointe. Und diese erzähle ich heute noch gerne.