Hab ich Burnout oder bin ich nur faul?

BITTE BEACHTEN SIE

Ich habe einige außergewöhnliche Behandlungsansätze, die sich nicht in Büchern wiederfinden. Diese sind meist konsequent weitergedachte schulmedizinische Betrachtungsweisen. Um mich und meine Arbeit besser kennenzulernen, stelle ich diese hier dar. Ich diskutiere diese gerne mit Ihnen und stelle etwas pointiert dar, um zum Austausch anzuregen. Dieser Blog ist weder Ausbildung, noch zum Nachahmen gedacht und ersetzt keine ärztliche Beratung oder Therapie. Aber vielleicht lachen Sie. Und dann vielleicht doch.

Mit neuen Ideen aus dem Urlaub

Hallo liebe Freunde, seit Sonntag bin ich wieder aus dem Urlaub zurück. Denkt daran, Urlaub muss nicht lang sein, sollte aber in regelmäßigen Abständen erfolgen. Am besten schon, bevor man kräftetechnisch am Ende ist. Der beste Urlaub ist der, den Ihr nicht nötig hattet. Denkt auch an mein „Tag, Woche, Jahr – Prinzip“: Wir versuchen immer, auch am Ende des Tages noch Energie übrig zu haben. Sollte das nicht der Fall sein, müssen wir uns ins Wochenende retten, um dort aufzutanken. Aber spätestens, wenn Ihr Montag um halb zehn das erste Mal nachzählt, wie viele Tage es bis Freitag noch so sind, wird es eng. Dann hilft nur noch Urlaub. Und wenn ihr dann erst anfangt zu planen, kommt die Rettung oft zu spät. Individuell müsst Ihr ein gutes Gefühl für den Abstand Eurer Urlaube haben. Ich versuche spätestens alle drei Monate eine Woche einzuschieben.

Und unbedingt an dieser Stelle: Vielen Dank an die edle Spenderin für das unglaubliche Care Paket! Es freut mich, dass Ihr Sorge habt, dass ich nicht genug Kraft fürs Schreiben habe, aber damit ist der Tank wieder randvoll. Wenn ich gewusst hätte, dass es so leckere Nudeln in Trier gibt, wäre ich bestimmt schon mal dagewesen. Und an alle, die gefragt haben: Nach meinem Osterurlaub besteht eine gewisse Chance, dass es demnächst mal wieder Berichte über meine Diät an dieser Stelle geben könnte.

Neulich morgens

Jetzt schnuppern wir wieder in eine Therapiestunde hinein. Und zwar an einer Stelle, die mich besonders überrascht hat.

„Ich glaube, ich muss gar nicht mehr so häufig kommen. Seit der letzten Stunde ist es, als sei ein Schalter umgelegt worden. Es geht mir großartig, meint mein Freund auch. Die Hochzeit wird doch nicht auf Eis gelegt. Es ist nicht so, als hätten Sie etwas Neues erzählt. Aber es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, es hätte etwas mit mir zu tun. Naja, ich finde es immer nett, dass wir über mein Leben sprechen und alle die Dinge, die ich eigentlich tun müsste. Ich spreche ja mit meinen Freunden auch so. Ich müsste mal wieder mehr Sport machen, müsste abnehmen, weniger trinken. Das heißt aber nicht, dass ich das wirklich vorhabe. Es ist eine gute Idee, garantiert, aber ich würde mich jetzt nicht deswegen quälen. Vor der Arbeit noch Laufen gehen und solche Scherze. Aber in der letzten Stunde hatte ich das Gefühl, Sie meinen wirklich, ich sollte das tun. Ich weiß auch, dass Sie in der nächsten Stunde nachfragen, ob ich es getan habe, aber ich weiß ja auch, dass Sie nicht sauer werden oder mich hier rausschmeißen, wenn ich es nicht tue. Es war wie eine nette Routine: Sie fragen, ob ich alles geschafft habe. Ich sage dass ich mich bemüht habe, es aber nicht so richtig ging. Sie loben mich, dass ich es versucht habe und ermuntern mich dran zu bleiben und ich fühle mich gut. Aber in der letzten Stunde ist mir klar geworden, dass ich vielleicht gar nicht krank bin. Vielleicht bin ich einfach nur faul? Ich habe mir gesagt, Du bist einfach nur eine faule Sau! Dieser Gedanke hat mich immens getröstet. Krankheit hat sowas Endgültiges und ist auch eine tolle Ausrede, nichts machen zu müssen. Aber ich glaube, ich bin einfach nur faul! Dann habe ich mich gefragt, ob ich nicht aufhören könnte, faul zu sein. Mal eine Woche Urlaub vom alten ich. Ich habe mich gefragt, was wohl passieren würde, wenn ich eine Woche lang, alles genau so machen würde, wie Sie mir das immer immer wieder gesagt haben. Daher habe ich mir einen Plan gemacht und den erstaunlicherweise auch durchgezogen. Eine Woche kein Handy, jeden Tag zwei Stunden Yoga, keine Hörbücher mehr und auch kein Fernsehen. Monotone Tätigkeiten. Mein Garten sieht aus wie neu. Mittagsschlaf und viele andere Dinge. Und wenn Zeit übrig ist, einfach mal langweilen. Das war das Schwerste. Im Zug aus dem Fenster schauen. Die Leute denken ja, man ist bekloppt oder könnte sich kein Handy leisten. Immer wieder hat meine Hand zu der Stelle gezuckt, wo sonst mein Handy steckt. Es war super schwer. Erst nach drei Tagen wurde es irgendwie leichter. Und jetzt geht es mir unglaublich gut, ich bin auch stolz auf mich. Ich weiß nicht, wie lange es anhält, aber ich will auf jeden Fall dabei bleiben.“

Dazu passend eine zweite Aussage von heute morgen:

„Ich mache jetzt alles genauso, wie wir es besprochen haben. Das klappt auch recht gut. Ich stehe meist so um neun Uhr auf, frühstücke bis 9:30 und mache dann eine halbe Stunde Sport. Danach sind meine Symptome meist sehr gering und ich kann gut in den Tag starten.“
„Und was passiert dann?“
„Wie, was passiert dann? Nichts mehr, was denn noch? Mindestens eine halbe Stunde Sport haben wir gesagt, danach verbringe ich den Tag wie immer. Weil ich krank geschrieben bin, schaue ich meist Serien, aber auf Netflix habe ich alles schon gesehen.“

Ihr könnt Euch kaum vorstellen, wie erstaunt ich von der ersten Aussage war. Die Patientin war super erleichtert zu erkennen, dass sie faul und nicht krank war. Als Arzt versucht man den Patienten ja eher den Druck zu nehmen, in dem man anders herum argumentiert: Sie sind nicht faul, sie sind krank, da können sie nichts für. Klappt auch, erleichtert die Patienten aber anscheinend so sehr, dass sie sich in dieser Erleichterung auch gut ausruhen können. Die Alternative kostet auch viel Kraft. Es ist auch nicht so, dass jeder mit Antriebsmangel faul ist. Energielosigkeit ist das wichtigste Zeichen von Burnout. Noch bedeutsamer für mich war allerdings die Tatsache, dass meine Aufforderungen und Pläne keineswegs als solche verstanden wurden. Daran bin ich zum Teil selbst Schuld. Ich lege sehr viel Wert auf Selbstbestimmung. Selbstverantwortung und Autonomie sind wichtige Inhalte meiner Arbeit. Ich zeige den Weg, gehen muss man ihn alleine. Jetzt wird mir klar, dass Zeigen bisweilen auch mit beiden Armen erfolgen sollte. Eher ruckartig. So stoß- oder schubsweise.

Massenerhaltungssatz in der Psychotherapie

Auch in der Therapie bekommen wir nur das als Erfolg, was wir vorher als Arbeit hineingesteckt haben. Immer wenn wir uns verändern wollen, kostet das sehr viel Kraft und Zeit. Gewichtsabnahme bekommt man nicht geschenkt. Muskeln nicht umsonst. Wissen nicht in Pillen. Trägheit der Masse nennt sich das. Der Körper versucht immer stabil zu bleiben, egal wie und wer man ist. Egal wie schlecht es uns geht, der Zustand ist bekannt. Eine Veränderung geht immer mit einem Risiko einher, das macht Angst und die wird gescheut. Wenn jemand ohne Selbstbewusstsein in die Praxis kommt, kommt immer die Aussage: „Ich will nach zehn Stunden hier kein egoistisches Arschloch werden, das nur noch an sich denkt!“ Oh, dann müssen wir aufpassen, dass wir nach neun Stunden aufhören, bevor es zu spät ist! Genau wie im Fitnessstudio noch vor dem Heben der ersten Hantel: „Ich will aber nicht so aussehen, wie Arnold!“ Und aus dieser Angst kommt dann die Idee, lieber erstmal gleich auf die Bremse zu treten, sicher ist sicher.

Die Wahrheit ist: Etwas zu erreichen ist schwer und erfordert Hingabe und Disziplin. Wenn wir einige Ziele erreicht haben, können wir immer noch bremsen. Das ist sogar vorgesehen, dann finden unsere Stunden nur noch alle 14 Tage statt, oder noch seltener. Woher kommt dieser Wunsch, dass es ohne großen Aufwand gehen könnte? Natürlich fehlt die Zeit und wir haben gegen Veränderung auch einen Widerstand, hauptsächlich ist es aber der Wunsch, dass wir unserer bisheriges Leben genauso weiterführen können, nur dünner, muskulöser, geistig stärker und schöner. Daher verkaufen sich Zeitschriften mit Titeln wie: „Abnehmen nebenbei, ohne Aufwand. Esst soviel ihr wollt und nehmt ab! Die neue Kuchendiät! Fleisch essen und abnehmen. In nur fünf Minuten fit! Manchmal finden wir auf einem einzigen Titelblatt alle drei Richtungen gleichzeitig: „Bleib wer Du bist und lass Dich nicht verbiegen!“, „Die neue Frühlingsdiät!“, „Neue Kuchenrezepte für die warme Jahreszeit!“ Direkt untereinander geschrieben. Hat jemand mitgedacht. Fällt auch keinem auf.

Gibt es da nicht eine Pille für?

Ich kann Euch gar nicht sagen, wie oft ich schon gefragt wurde, ob jemand nicht auch einfach eine Pille nehmen könnte. Das Leben läuft seit der Kindheit den Bach runter, seit Jahren Depressionen, falscher Mann, falscher Job. Die blaue Pille und schon passt alles. Wie soll das denn bitte gehen? Abgesehen davon, dass ich von Antidepressiva nichts mehr halte, können die helfen, wenn ohne ersichtlichen Grund oder durch einen vorübergehenden Grund die Stimmung und der Antrieb schlecht ist. Da spricht dann nichts dagegen.

Ärzte wollen Menschen möglichst schnell helfen und versuchen daher, diesem Wunsch zu entsprechen. Manchmal, in seltenen Fällen, klappt das auch: Infektion, 14 Tage Antibiotika, fertig. Aber selbst hier hinkt das Bild, wenn wir uns die Nebenwirkungen ansehen. Schauen wir uns mal den Blutdruck an. Ihr Arzt muss Ihnen bei einem Blutdruck von 150/90 eine Tablette verschreiben. Schon in der Ärzteezeitschrift von 2006 (Blutdruck und Gewicht) wird deutlich, dass eine Gewichtsabnahme von nur fünf Kilo so viel hilft wie eine Blutdrucktablette. Wie entscheiden sich die meisten Menschen? Fünf Kilo abnehmen, oder für den Rest des Lebens eine Tablette, bei der man körperlich und geistig eingeschränkt wird oder ständig aufs Klo muss? Sie ahnen es. Ähnliches gilt für ein Sportprogramm (zwei Sporteinheiten pro Woche senken den Blutdruck um 10 mmHg) oder für Diabetes. Seit langem weiß man, dass oft nur wenige Kilo reichen, um nicht mehr Insulin spritzen zu müssen. Bei Gicht: Tablette nehmen oder Fleisch einschränken? Und bei allen diesen Beispielen sind wir in der Heilung, also wenn wir die Probleme bereits haben. Viel leichter ist es, prophylaktisch aktiv zu sein. Wenn wir den Schaden erst einmal haben, wird es immer schwer. Mein Schwiegervater hatte zum Beispiel eine Verengung der Halsschlagader um 70%. Er sollte operiert werden obwohl das Risiko, bei der OP einen Schlaganfall zu erleiden, recht hoch ist. Wir haben uns damals dagegen entschieden und er hat einen Therapieplan bekommen. Diesen Dienstag kam die Information, die Verengung beträgt nur noch 50%! Das wollten die Ärzte in der MHH gar nicht glauben. Und als Neurologe kann ich Ihnen sagen, dass man so etwas auch eigentlich nie sieht. Was Verengungen angeht, gibt es da immer nur eine Richtung und die zeigt auf den OP Saal. Bei der Behandlung meines Schwiegervaters ging es um Diät, intensive Stärkung des Immunsystems, viele Vitalstoffe, sportliche Betätigung (er spielt mehr Golf in der Woche als ich und vielleicht sogar besser!), Senkung von Homocystein und vieles mehr. Ganz wichtig sind auch monotone, beruhigende Tätigkeiten wie Rasenmähen, Wagenwaschen und Gartenarbeit. Irgendwas muss ich ja schließlich auch davon haben.

Und weil wir alle ganzheitlich denken, macht es keinen Unterschied, ob wir uns psychisch oder körperlich verändern wollen: Beides braucht Ausdauer und Disziplin. In einem anderen Blog, auf den ich hier gerne verweisen möchte weil ich ihn sehr mag, wird das sehr treffend aus einer anderen Perspektive beschrieben (Burnoutside Blog). Hier geht es um einen Patienten, der zum gleichen Schluss gekommen ist und dabei sehr erfolgreich war. Weiter so, Roland!

Zusammenfassung

Es ist unüblich, in der Therapie Druck zu machen. Jeder Patient hat von sich aus schon genug Druck und braucht eher Entlastung und Verständnis. Übertreiben wir es aber dabei, entgeht dem Patienten eine fundamentale Erkenntnis: Das Ergebnis der Therapie entspricht dem persönlichen Einsatz. Die Summe der Energien bleibt immer gleich, sagt Albert Einstein. Wenn ich keine Mühen in ein Projekt hineinstecke, kann unmöglich etwas Gutes dabei herauskommen. Wir brauchen den Willen, die Zeit und die Hingabe und können dabei Großartiges für uns erreichen. Und das gilt für alle Bereiche der Medizin. Viel wird in der Medizin gemacht, um es Patienten einfach zu machen und der Pharmaindustrie Geld einzubringen. Weil die Erfolge schnell kommen und keine Arbeit erfordern, fragt man nach den langfristigen Nachteilen nur selten. In der Therapie ist es noch deutlicher: Sie werden keine bessere Beziehung oder Job oder Kindheit durch eine Tablette bekommen. Diese Themen anzugehen erfordert harte Arbeit und Umsetzungsbereitschaft. Und das Problem ist: Anders zu denken ist noch schwerer, als nur etwas anderes zu tun. Ich rate Ihnen daher: Machen Sie mit Ihrem Therapeuten einen Plan, an den Sie sich strikt halten. Sehen Sie Ihr Leben wie ein Projekt in Richtung eines selbst gewählten Zieles. Sich diesem Ziel zu nähern ist unglaublich befriedigend und gibt dem Leben Sinn.

Leider macht man sich als Arzt auf diese Weise keine Freunde. Oder wie ein Orthopäde neulich meinte: „Wenn man einem Patienten mit Rückenschmerzen aufzeigt, wie er durch Sport, Physiotherapie und Veränderungen auf der Arbeit wieder völlig gesund werden kann, wechseln die sofort den Arzt. Haue ich dem eine Spritze mit Cortison und Voltaren in den Rücken bin ich ein Wunderheiler! Das ist für die auch kein Problem, jede Woche wiederzukommen und die gute Spritze zu verlangen!“

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen ein schönes Wochenende. Ich wurde gefragt, warum ich nicht einen schönen, immer gleiche Satz unter jeden Blog schreibe. Hmm. Wer kann mir da helfen? Ich veröffentliche hier jede eingehende Idee. Ich bin mal gespannt!