Die depressive Persönlichkeit – eine Investition in das eigene Selbstwertgefühl

BITTE BEACHTEN SIE

Ich habe einige außergewöhnliche Behandlungsansätze, die sich nicht in Büchern wiederfinden. Diese sind meist konsequent weitergedachte schulmedizinische Betrachtungsweisen. Um mich und meine Arbeit besser kennenzulernen, stelle ich diese hier dar. Ich diskutiere diese gerne mit Ihnen und stelle etwas pointiert dar, um zum Austausch anzuregen. Dieser Blog ist weder Ausbildung, noch zum Nachahmen gedacht und ersetzt keine ärztliche Beratung oder Therapie. Aber vielleicht lachen Sie. Und dann vielleicht doch.

„Was ich wirklich nicht leiden kann ist, wenn ich mich für alle aufopfere und dann nichts zurück kommt. Ich kümmere mich doch wirklich um jeden und was ist der Dank? Neulich habe ich Freunde zu mit eingeladen und niemand hat sich für den schönen Abend bedankt. Wofür mache ich das eigentlich? Ich gehe immer über meine Grenzen hinaus, gebe wirklich alles. Aber ich fühle mich innerlich so leer, hab oft keine Kraft mehr. Ich kann aber auch wirklich schlecht nein sagen, selbst wenn ich mir das vornehme.

“Diese Aussage ist wörtlich übernommen. Von mehr als 10 Patienten. Pro Monat. Ich wette, Sie kennen jemanden, der diese Sätze genau so sagen könnte. Haben Sie grad zum Bild Ihrer Mutter geschielt? Wenn etwas so verbreitet ist, sollte es doch sowohl eingehend erforscht, als auch gut beschrieben sein, oder? Noch ist es das nicht, aber ich beeile mich ja schon.

Jeder Mensch möchte ein gutes Selbstwertgefühl haben. Und wir alle haben unterschiedliche Taktiken dafür. Die einfachste, die uns schon in der Kindheit zur Verfügung steht, ist der Egoismus. Wir nehmen alles, was wir sehen und behalten es. Ich sehe die Schippe im Sandkasten, ich nehme sie mir, jetzt bin ich der König der Welt! Zumindest des begrenzten, sandigen Teils um mich herum. Ein kleines Mädchen will die Schippe auch haben? Kein Problem, dafür habe ich ja – eine Schippe. Das Mädchen heult? Was interessiert es mich, solange ich die Schippe habe. Das Leben als Kind kann so einfach sein, bis die Eltern kommen. Die sagen so merkwürdige Dinge wie: „Denk doch auch mal an andere!“, „Lass die anderen auch mal spielen.“, „Willst Du nicht gemocht werden?“, „Lerne zu teilen!“. Und das ist ein ganz schwieriges Konzept für Kinder. Ich gebe dem Mädchen die Schippe, die freut sich und kann mich gut leiden. Dann wird sie mir vielleicht auch etwas schenken, vielleicht sogar etwas, das noch wertvoller ist, als die Schippe! Und schon sind wir beim zweiten Extrem. Ich gebe anderen etwas. In der Hoffnung, dass ich mehr zurückbekomme, als ich gegeben habe. Ich gebe meinem Partner ganz viel Liebe, so dass mir noch viel mehr zurück gibt. Das ist der Anfang einer depressiven Persönlichkeit. Warum hat die das Wort Depression im Namen? Naja, weil die Rechnung oft nicht aufgeht. Weil der Partner sich freut, so viel Zuwendung zu bekommen, selbst aber ein Egoist ist. Dann kümmern sich zwei um ihn und keiner um mich. Und wohin führt das? Genau! Schule und Studium verstärken diesen Mechanismus. Wir lernen für eine Arbeit, damit die Lehrerin über unseren Eifer erfreut ist und uns Noten gibt. Dieses ganze Notensystem dient nur dazu, uns abzugewöhnen, Selbstbewußtsein aus uns selbst zu schöpfen und stabile Menschen zu werden. Stattdessen investieren wir in andere und hoffen, dass die uns die Mühe in Form von guten Noten vergelten. Machen sie auch. Manchmal. Falls ihnen unsere Nase passt. Oder Frau Lehrerin nicht von jemandem im Kindergarten gehänselt wurde, der sie an uns erinnert. Dann geht die Rechnung den Bach runter. Früher hat uns hier die Religion weitergeholfen: Gott hat Dich lieb, egal welche Note Du schreibst, oder wie Dich Deine Eltern finden. Ein Grundvertrauen, auf das wir unser Selbstwertbild gründen können. Gibts nur nicht mehr. Ausverkauft. Selbstwert erst ab 1000 Likes aufwärts. Feedback von aussen, wenn wir uns anstrengen und die richtigen Bilder posten.

Das Problem ist, dass es eine sehr riskante Investition ist, unsere Energie in andere zu stecken, in der Hoffnung, dass die sich dafür revanchieren. Wir haben es hier mit einer Art von Manipulation zu tun. Wir machen das ja nicht wegen der anderen Person, sondern nur zum eigenen Zwecke. Und wie reagieren Menschen auf Manipulation? Wie reagieren Sie, wenn sich jemand über die Maßen um sie bemüht und kümmert und nie eine Gegenleistung erwartet? 30% bekommen ein schlechtes Gewissen und revanchieren sich. Hier klappt das System. 30% halten das Verhalten für selbstverständlich, weil sie es schon irgendwie verdient haben und genießen es, ohne sich zu revanchieren. 30% haben das Gefühl, sie hätten jemand besseres verdient, weil sie jemanden, der sich verschenkt für minderwertig halten. Und 30% fühlen sich vereinnahmt und geklammert und wollen fliehen. Weitere 20% verstehen nichts von Prozentrechnung.

Also doch wieder ein Egoist werden? Wir versuchen immer, Extreme zu vermeiden, weil die einfach nie funktionieren. Also die Mitte? Sich um Menschen kümmern, solange es einigermaßen ausgeglichen ist? Zwei Runden bezahlen, aber wenn der anderen dann immer noch nicht den Geldbeutel zückt, ist Schluß? Zumindest schon mal viel besser.

Mein Tipp: Bleiben Sie bei sich. Haben Sie klare Regeln, die Sie super finden und leben Sie danach. Integer sein. Sie sind gerne großzügig? Also geben Sie einen aus. Für sich selbst und Ihre Persönlichkeit, nicht, damit der andere die nächste Runde übernimmt, bei der Sie das große Glas bestellen und sich freuen, einen guten Schnitt gemacht zu haben. Auch nicht, damit der andere Sie gut leiden kann. Sind Sie ein freundlicher, menschenbejahender Typ? Dann machen Sie Komplimente, selbst wenn Sie den anderen niemals wiedersehen und der sich nicht revanchieren kann. Strahlen Sie Ihre Persönlichkeit in die Welt hinaus und schauen Sie, was passiert. Nicht die Welt oder andere Menschen belohnen uns, sondern wir selbst. Weil wir uns so verhalten, wie wir gerne sein möchten. Nett, großzügig, ehrlich, kritisch, hilfreich oder gerecht.

Ein Patient sagte einmal, das klingt wie Karma. Was ist das genau, hab ich gefragt. Erklärt er mir ganz einfach: „Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Freund laufen hinter dem Zug her. Er erwischt ihn grad noch so, Sie nicht. Er lacht Sie aus, Sie lachen nicht. Er sitzt im falschen Zug, Sie nicht. „